Die Schattenseiten von Schönheit

Egal ob Instagram, Tik Tok oder BeReal - das Meer aus Social Media Plattformen ist mit jedem Jahr schwieriger zu überblicken. Der Trend zeigt, dass Inhalte immer schnelllebiger, lebensnaher und scheinbar origineller präsentiert werden müssen, um somit noch mehr Viralität zu erlangen. Obwohl Schlüsselbegriffe wie #nofilterneeded (zu Deutsch: kein Filter benötigt) für Authentizität und Imperfektion werben wollen, generiert die Flut an Herausforderungen (sog. Challenges) und anderen kreativen Möglichkeiten der jeweiligen Plattform einen enormen Druck, um dazuzugehören und ständig ‚up to date‘ zu sein. Meist zielen diese Challenges auf amüsante, selbstoptimierende oder die eigene Komfortzone verlassende Aktivitäten ab wie beispielsweise eine Tanzchoreografie von sich zu einem bekannten Song zu erstellen oder so viele Liegestütze wie möglich zu machen (#thepushupchallenge) und diese daraufhin hochzuladen. Doch eines haben diese Aufgaben gemeinsam: sich selbst und teilweise sehr intime Details über das eigene Leben oder den Körper darzustellen.  Somit sind Nutzer:innen von sozialen Medien diversen Bewertungen und Reaktionen durch ein mehr oder weniger bekanntes Umfeld ausgesetzt. Wenn junge Menschen auf diesem Wege Komplimente oder sogenannte ‚Likes‘ erhalten, könnte man zu dem Schluss kommen, dass dies eine selbstwertsteigernde Wirkung erzeugt, oder nicht?

In der Beratungsstelle „Schneewittchen“ des SOS-Kinderdorf erleben die beiden Mitarbeiterinnen Frau Stang und Frau Rehm regelmäßig eine gegenteilige Wirkung. Durch einen Großteil der Inhalte auf Social Media wird ein verklärtes Bild erzeugt, wie junge Menschen - insbesondere Frauen - auszusehen haben, welche Kleidung sie tragen sollen, wie sie geschminkt sein sollen und welche Körperproportionen sie noch dazu haben sollen. Die Hauptbotschaft dieser Inhalte: wer sich durchtrainiert, dünn und makellos präsentiert, ist erfolgreicher, beliebter und scheint weniger Probleme zu haben. Wenn junge Menschen, die noch dazu vor unterschiedlichen Entwicklungsaufgaben stehen, im Netz überwiegend von solchen Idealen umgeben werden, kann dies die Wahrnehmung und Identifikation mit ihrem eigenen Körper beeinflussen. Das eigene Körperbild ist ein komplexes Konstrukt und entsteht aus eigenen Gedanken, Gefühlen, Wahrnehmungen, aber auch aus Umweltfaktoren wie Erfahrungen und gesellschaftlichen Schönheitsnormen. Vor allem die Pubertät ist eine Phase, in welcher Jugendliche sich die Fragen stellen: wer bin ich? Wer möchte ich sein? Und wie möchte ich von meiner Umwelt wahrgenommen werden?

Laut einer Studie der University of New South Wales wird durch das Anschauen von scheinbar perfekten Körpern der Selbstwert junger Frauen gemindert – und hierfür reichen allein 90 Sekunden aus. Die Studienleiterin Jasmine Fardouly erklärt, dass die Auswirkungen von digitalen Bildern sowohl auf körperlicher als auch emotionaler Ebene Auswirkungen haben, sodass bereits sechsjährige Mädchen laut der Studie Unzufriedenheit mit ihrem Körper verspüren und nach dem Anschauen dieser Bilder in eine gedrückte Stimmungslage verfallen.  

Die Entwicklung zum jungen Erwachsenen findet im Umgang und auch im Abgleich mit anderen Menschen statt, und wenn das eigene Körperbild negativ ist oder nicht zu dem Schönheitsideal passt, wie es in den sozialen Netzwerken suggeriert wird, kann dies die Entwicklung einer Essstörung, Depression oder einer Körperbildstörung, einer sogenannten Körperdysmorphie, begünstigen. Denn das eigene Körperbild hat nichts mit Oberflächlichkeit zu tun, sondern spiegelt im Grunde nur das innere Erleben wider. Und wenn Menschen sich als minderwertig oder nicht zugehörig empfinden, kann dies neben einem hohen Leidensdruck auch ein hohes gesundheitliches Risiko darstellen.  

Studien der DAK und der KKH zufolge ist die Zahl der Jugendlichen mit einer Essstörung wie Anorexie oder Bulimie während der Corona-Pandemie um etwa 30 Prozent gestiegen. Da viele Jugendliche während dieser Phase mehr Zeit in den sozialen Netzwerken verbracht haben, könnte somit auch eine erhöhte Flut an unrealistischen Idealen einen Einfluss auf die gestiegenen Zahlen von Menschen mit Essstörungen haben.   

 

Dennoch darf nicht vergessen werden, dass die Ursachen zur Entstehung oder Aufrechterhaltung einer Essstörung wie bei anderen psychischen Erkrankungen durch mehrere bio-psycho-soziale Faktoren bedingt ist. Eine solche Erkrankung ist Ausdruck tiefgreifender seelischer Belastung. 

Da Menschen, die von einer Essstörung betroffen sind, häufig perfektionistische Ansprüche an sich und ihren Körper haben und dies verbunden ist mit einem niedrigen Selbstwertgefühl, kann eine starke Orientierung an Vorbildern im Netz die Essstörung zusätzlich bestärken oder aufrechterhalten, so zeigt die Studie des internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) in Kooperation mit dem Bundesfachverband Essstörungen (BFE) und der Schönklinik.  

Im Hinblick auf diese Risikofaktoren durch Social Media vertritt die Beratungsstelle Schneewittchen die Haltung, sich erstens ehrlich zu hinterfragen, wie viel Zeit täglich auf Social Media in Ordnung für die eigene Psyche ist und zweitens, sich kritisch damit auseinanderzusetzen, welche Wirkung die konsumierten Inhalte auf das innere Erleben erzeugen.  

Denn die Studie von Jasmine Fardouly legt auch nahe, dass das Zeigen von vielfältigen und ungeschönten Körperformen in den sozialen Medien potenziell positive Auswirkungen auf den Selbstwert haben könnten.  

Um jedoch den Fokus weg von den äußeren Schönheitsmerkmalen zu lenken, sollten Sozialarbeiter:innen, Lehrer:innen und auch Eltern mit ihren Kindern gemeinsam üben, Komplimente auf persönlicher Ebene zu verteilen, so die Empfehlung der Beratungsstelle. Denn Komplimente dieser Art festigen den Selbstwert auf nachhaltigere Weise.

Sophia Rehm ist Erziehungswissenschaftlerin und berät in der Fachstelle "Schneewittchen"

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